Monatsarchiv: Juli 2012

Freiwillige Sexarbeit. Ja, die gibts!

In letzter Zeit habe ich mich durch einige Blogs gefressen, die sich mit den Themen Feminismus und Prostitution beschäftigen.

Diverse Meinungen zu den diversen Facetten oben genannter Themen haben mich zur folgenden Frage gebracht: inwieweit wird dem (weiblichen) Individuum sexuelle Selbstbestimmung zugetraut?

Es herrscht die allgemeine Meinung, dass man heutzutage überall so ziemlich alles tun und lassen kann, was man möchte. Rein theoretisch. Und eben diese Theorie führt zum Problem: einzelne Personen, sowohl Frauen als auch Männer, sich ExpertInnen nennend, welche die Allgemeinheit belehren wollen, „wie die Wirklichkeit aussieht“. Die Wirklichkeit, dh eine statistisch nicht überprüfte persönliche Meinung, die vorgetragen wird, wie das Ergebnis einer repräsentativen Studie.

Man möchte argumentieren, dass in Deutschland Meinungsfreiheit herrscht und jeder noch so abstruse Meinungen publizieren dürfe, solange sie keiner natürlichen Person schaden, also solange keine Grundrechte verletzt werden. Aber kann man davon ausgehen, dass jede öffentliche Meinungsäußerung, die nicht gegen Grundrechte verstößt, auch keinem schadet? Ich denke nicht!

Gerade im Feminismus der 2. Welle gibt es Ansichten zur sexuellen Selbstbestimmung und Sexarbeit, die unkritisch in den Medien vorgetragen werden.

Wer kann (oder darf!) klar definieren, inwieweit jemand aus freien Stücken als sex worker arbeitet? (ich beschränke mich hier nur auf die Perspektive einer weiblichen Prostituierten, da sich der 2.-Welle-Feminismus auch hauptsächlich mit ebendiesen beschäftigt)

Dazu gibt es einen Mythos, alle Prostituierten seien zwangsweise in diesem Beruf tätig, da ’niemand das freiwillig machen würde‘. Diese Aussage muss man in zwei Teile aufteilen:

1.: der Zwangsfaktor: es gibt einen Berufsverband und mehrere Organisationen (Hydra, Dona Carmen, der BesD..), die von und für Sexarbeiter*innen sind und sehr klar berichten, dass sehr viele Menschen dieser Arbeit ohne Zwang nachgehen. Es ist ein Mythos, dass alle Sexarbeiter*innen einen Zuhälter haben oder unter falschen Tatsachen von Osteuropa nach Deutschland gelockt wurden. Diese Fälle gibt es auch, aber sie sind weit weniger als die oft genannten 97%.

Zu 2. muss ich etwas weiter ausholen: die Aussage, niemand würde sich freiwillig prostituieren ist sehr schwammig. Wie definiert man ‚freiwillig‘? Sicher ist wohl, dass keine Prostituierte ihre Dienste kostenlos anbieten würde, denn der Geldaustausch ist ein markantes Merkmal der Prostitution. Auch tut sie es kaum aus Nächstenliebe, sondern eben um Geld zu verdienen. Das heißt aber nicht, dass sie daran keinen Spaß haben kann oder gar dazu gezwungen wird (das basiert wieder nur auf dem sexistischen Vorurteil, dass Frauen Sex nutzen, um ihre Interessen- Geld, Luxus, Liebe- erfüllt zu bekommen)! Wenn man Prostitution als das betrachtet, was es ist, nämlich eine Dienstleistung, lässt sich Punkt 2 sehr einfach klären: warum transportiert ein Möbelpacker wohl Ihre Möbel aus Ihrer Wohnung, wenn Sie umziehen? Aus Nächstenliebe? Im Kapitalismus ist keine Arbeit wirklich freiwillig.

In welchem Maßen spielen persönliche Begleitumstände in die Freiwilligkeit zur Tätigkeit hinein? Es wird oft argumentiert, dass Frauen durch eine schlechte wirtschaftliche Lage (klassisches Klischeebeispiel: junge alleinerziehende Mutter, keine Ausbildung, Schulden) in die Prostitution getrieben werden. Doch heutzutage muss niemand mehr auf der Straße wohnen, man bekommt Unterstützung vom Staat, die zum Überleben (gerade so) reicht. NIEMAND MUSS SICH PROSTITUIEREN. Prostitution ist eine Möglichkeit, ohne Ausbildung mit flexiblen Arbeitszeiten schnell an (relativ) viel Geld zu kommen und daher durchaus reizvoll für Frauen, die sich etwas mehr leisten wollen, als sie vom Staat bekommen würden (sei es ALG I oder II oder BAföG, wobei da natürlich wieder der Staat Einspruch erhebt bzw mitverdienen will- wo ist das eigentlich nicht Ausbeutung der Arbeitskraft?) oder auch als „Plus“ zum Gehalt ihres Hauptberufes.

Nicht jede Frau möchte als sex worker arbeiten und das ist auch vollkommen in Ordnung, es gibt schließlich für jede Arbeit persönliche Präferenzen und Eignungen. Solange man nur das tut, was man mit sich selbst vereinbaren kann und aufhört, wenn man es nicht mehr kann, wird man wahrscheinlich keine psychischen Verletzungen davontragen.

Ich bin sehr froh, dass Sexarbeit seit mittlerweile 10 Jahren nicht mehr verboten ist, das bedeutet nämlich, dass Sexarbeiter*innen besser geschützt sind. Die Theorie, dass ein erneutes Verbot Probleme des Metiers eindämmt, ist schlichtweg naiv und sehr gefährlich: durch eine erneute Illegalisierung wird einfach alles, ‚was nicht sein darf‘ ignoriert und Prostituierte haben keine Rechtsgrundlage gegen zahlungsunwillige oder gewalttätige Kund*innen, da sie sich dadurch nicht nur beim Staat ‚outen‘ müssen, sondern per se kein Recht auf Lohn haben, solange man Sex nicht kaufen darf. Das würde sicher Kund*innen dazu ermutigen, öfter einmal die Zeche zu prellen oder ohne die Zustimmung der*des Arbeiter*in eine (vorsichtig ausgedrückt) harte Gangart einzulegen, da sie ihn*sie wohl kaum anzeigen wird.

Es ist anmaßend, erwachsenen (!) Menschen die Fähigkeit zur freiwilligen Berufswahl abzusprechen, nur weil es sich um einen leider immernoch nicht in der breiten Gesellschaft öffentlich akzeptierten Bereich handelt!